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Angst und Mystik – Entschlüsselung der Aghori Sadhus von Varanasi

Indische Mystik trägt immer einen Hauch von Angst in sich – doch niemand verkörpert dieses Gefühl so sehr wie die Aghori Sadhus. Schon ihr Anblick ist eindrucksvoll: Körper, mit Asche bedeckt, wilde Dreadlocks und Augen, die so tief blicken, als könnten sie in Ihre Seele sehen. Viele verspüren im ersten Moment Abneigung oder Furcht, wenn sie einem Aghori begegnen. Und doch – je länger man sie betrachtet, desto stärker wächst die Neugier. Wer sind diese Männer wirklich? Warum überschreiten sie Tabus, die wir für unantastbar halten? Begleiten Sie uns und werfen wir einen Blick in ihr außergewöhnliches Leben – und entdecken, warum sie so sind, wie sie sind.

von indienrundreisen.de
Aghori Sadhu sucht auf den Strassen nach Almosen indien
Auf der Suche nach Almosen – Ein Aghori-Sadhu zieht durch die Straßen, den Blick fest und ernst. Mit jeder Geste verkörpert er Verzicht, Hingabe und die radikale Abkehr von weltlichem Besitz © Zzvet

 
Der Aghori Sadhus von Varanasi

Die Lebensart der Aghoris verstehen
Das undenkbare Essen der Aghoris
Erlösung durch Gotteslästerung
Marihuana für yogische Konzentration
Kannibalismus als Lebensstil


 

 

Die Lebensart der Aghoris verstehen

Indien ist seit jeher ein Land der Spiritualität – und Verzicht gilt als einer der wichtigsten Wege zum inneren Frieden. Doch was „Verzicht“ bedeutet, hängt vom Menschen ab: Für Reiche mag es der Abschied vom Wohlstand sein, für Arme das Loslassen des Strebens nach Besitz.

Die Aghoris jedoch gehen weit darüber hinaus. Sie betreten einen radikalen Pfad, der selbst das Gefühl des Ekels in Frage stellt. Ja – Ekel! Denn für sie bedeutet Verzicht, nicht nur auf weltliche Güter zu verzichten, sondern sogar das eigene Ekelgefühl zu überwinden.

Ihre Logik ist einfach – und gleichzeitig faszinierend: Wenn das, was uns abstößt, zur Norm wird, verliert es seine Macht. Was für andere undenkbar ist, wird für Aghoris Teil ihrer spirituellen Praxis.

👉 Hier sind einige der außergewöhnlichen Rituale und Praktiken, die diesen einzigartigen Lebensweg prägen…

Aghori Naga Sadhus – In Asche gehüllt sitzen zwei Sadhus einander gegenüber, umgeben von Ritualgegenständen und neugierigen Blicken. Ein faszinierender Moment zwischen Spiritualität und Alltag


 

Das undenkbare Essen der Aghoris

Wo für uns die Grenze des Vorstellbaren längst überschritten ist, beginnt für die Aghoris ihre spirituelle Praxis. Sie verzehren Dinge, die wir als abstoßend empfinden würden: verwesende Leichen, Tierurin, Tierkot oder verdorbene Nahrung. Und oft nutzen sie dazu kein gewöhnliches Gefäß – sondern einen menschlichen Schädel.

Klingt wie reine Perversion? Für Aghoris ist es genau das Gegenteil. Es geht nicht um Ekel – es geht darum, das Ego zu brechen. Stellen Sie sich vor: Welche Form von Stolz oder Selbstüberhöhung könnte bleiben, wenn man das isst, was für andere unantastbar ist?

👉 Indem sie das „Undenkbare“ zu ihrer Realität machen, erreichen Aghoris ein radikales Maß an Demut und Loslösung – jenseits aller gesellschaftlichen Grenzen.

Morgenritual am Ganges – Ein junger Aghori-Anhänger, einer der asketischen Shiva-Sadhus, sitzt am heiligen Fluss Ganges in Varanasi. Im ersten Licht des Tages segnet er seine menschlichen Schädel – ein Ritual voller Mystik und spiritueller Kraft © Jedraszak


 

Erlösung durch Gotteslästerung

Wer einen Aghori Baba um Segen bittet, sollte nicht überrascht sein, wenn er stattdessen mit einem Schwall von Obszönitäten überschüttet wird. Was für Außenstehende wie blanke Gotteslästerung wirkt, hat in Wahrheit einen tieferen Sinn: Es ist ein radikaler Akt des Loslassens aller weltlichen Vorstellungen – auch jener von Reinheit, Anstand oder Heiligkeit.

Für Aghoris ist das, was uns empört, nichts anderes als ein Spiegel unserer eigenen Anhaftungen. Selbst extreme Gesten – wie der berühmte Dhuniwale Baba, von dem erzählt wird, er habe sogar Kot als „Segen“ verteilt – sollen zeigen: Das Göttliche kennt keine Grenzen und keine Tabus.

👉 Was wie Beleidigung oder Provokation erscheint, ist in ihrer Welt ein Weg zur Erlösung durch totale Grenzüberschreitung.

Im Rauch der Meditation – Versunken zieht ein Sadhu an seiner Pfeife mit Haschisch. Zwischen Rauchschwaden und stiller Hingabe zeigt sich die andere, oft kontroverse Seite ihrer Spiritualität © Victoria Chukalina​​​​​​​


 

Marihuana für yogische Konzentration

Die Aghori Sadhus sind nicht nur Meister des Verzichts, sondern auch der yogischen Lebensweise. Stundenlange Meditation, absolute Konzentration und das Verschmelzen von Körper und Geist prägen ihren Alltag. Doch viele von ihnen greifen dabei zu einem ungewöhnlichen Helfer: Marihuana.

Für die Babas ist es kein bloßes Rauschmittel, sondern ein heiliges Werkzeug. Die Trance, die durch den Rauch entsteht, verstehen sie als göttliche Ekstase – ein Geschenk einer höheren Macht. In diesem Zustand, so glauben sie, öffnet sich der Zugang zur metaphysischen Welt, in der die Grenzen zwischen dem Irdischen und dem Spirituellen verschwimmen.

👉 Was für Außenstehende wie ein Tabubruch wirkt, ist für Aghoris ein weiterer Schritt auf dem Weg zu Transzendenz und Erleuchtung.

 

Kannibalismus als Lebensstil

Für uns unvorstellbar, für die Aghoris Teil ihres radikalen Weges: Sie sind dafür bekannt, in die noch glühenden Scheiterhaufen zu greifen, Überreste herauszunehmen – und davon zu essen. Ein Anblick, der Fremde schockiert, aber in ihrer Welt gilt dies als „akzeptierte Norm“. Selbst die Angehörigen der Verstorbenen stellen dieses Verhalten nicht in Frage, denn sie wissen: Die Aghoris leben nach Regeln, die jenseits weltlicher Moral liegen.

Die Aghori-Babas sind Anhänger von Shiva und der wilden Göttin Kali, die selbst in furchteinflößenden Gestalten dargestellt werden. Ihr Glaube fordert absoluten Verzicht – bis hin zur Aufgabe von Besitz, Scham und selbst der Kleidung. Viele Aghoris tragen nur das Nötigste oder gar nichts, weil auch der Körper für sie kein Tabu kennt.

👉 Schwer zu begreifen für uns, doch für Aghoris ist dieser Lebensstil ein kompromissloser Weg zur Erlösung – durch totale Grenzüberschreitung.

 

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