Mahabalipuram: Die Arbeit der Bildhauer
Die Geschichte der Pallava-Dynastie
Die unsichtbaren Helden von Mahabalipuram
Die Vorstellungskraft der Sthapatis
Die Werkzeuge der Meister von Mahabalipuram
Der harte Test der Skulpturen
Die letzte Weihe der Skulpturen
Die Geschichte der Pallava-Dynastie
Die Geschichte der Pallava-Dynastie, die Mahabalipuram erschuf, liest sich wie ein Epos: Herrscher, exzentrisch und von unstillbarem Blutdurst, zugleich getrieben von einer tiefen Leidenschaft für Religion und Kunst. Aus heutiger Sicht wirkt dieser Widerspruch fast bizarr – und doch entstand aus genau dieser Mischung ein Ort von unvergleichlicher Schönheit.
Noch bedeutender als die Dynastie selbst waren die Sthapatis, die Meisterbildhauer, und ihre unzähligen Arbeiter. Mit Schweiß, Mühe und manchmal auch ihrem Leben tränkten sie den Boden, während sie religiöse Traditionen in Stein bannten und Kunstwerke schufen, die noch heute den Atem rauben.
Ihr Erbe lebt weiter: Wer heute durch Mahabalipuram spaziert, sieht überall Bildhauerläden, in denen mit derselben Hingabe wie vor 1.400 Jahren gearbeitet wird. Ihre Werke reisen inzwischen in alle Teile der Welt – und so erreicht die Kunst von Mahabalipuram heute mehr Menschen als jemals zuvor.

Arjuna’s Penance: Das vollständig fertiggestellte Felsrelief Arjuna’s Penance ist das Herzstück von Mahabalipuram. Mit hunderten fein gearbeiteten Figuren erzählt es uralte Mythen in überwältigendem Detail – ein wahres Meisterwerk, das den Fels selbst zum Leben erweckt © CRS Photo
Die unsichtbaren Helden von Mahabalipuram
Es wäre zu wenig, nur die wunderbaren Skulpturen und großartigen Tempel von Mahabalipuram zu bewundern, ohne an jene zu denken, die sie schufen. Hunderte von Bildhauern und Arbeitern stellten sich der fast unmöglichen Aufgabe, den harten Granit in lebendige Formen zu verwandeln – und das allein mit Handwerkzeug und unerschütterlicher Leidenschaft.
Die Arbeit war brutal: Riesige Felsblöcke mussten bewegt, der Stein mit Hammer und Meißel bearbeitet werden. Jeder Schlag war schmerzhaft für Körper und Hände. Der scharfkantige Granit schickte splitternde Splitter durch die Luft, die Haut und Augen verletzen konnten. Der feine Staub, der im Morgenlicht golden glitzerte, kroch in die Lungen und verursachte Atemnot.
Und doch hielten sie durch – unempfindlich gegenüber Schmerz und Entbehrung, getrieben von der Vision, der Natur selbst eine neue Gestalt zu geben. Ohne ihre Opferbereitschaft gäbe es das Mahabalipuram, das wir heute bestaunen, nicht.

Ramanuja Mandapam: Der unvollendete Felsentempel Ramanuja Mandapam ist Teil der beeindruckenden Denkmalgruppe von Mahabalipuram. Gerade seine Unvollkommenheit lässt die jahrtausendealte Handwerkskunst der Steinmetze noch greifbarer erscheinen © ManeeshUpadhyay
Die Vorstellungskraft der Sthapatis
Man darf nicht vergessen: Den Meistern von Mahabalipuram standen kaum Materialien zur Verfügung, um ihre Arbeit zu planen. Papier war in Indien noch unbekannt – es sollte noch Jahrhunderte dauern, bis es hier ankam. Stattdessen ritzten die Sthapatis ihre Entwürfe auf Palmenblätter, manchmal mit Tinte nachgezogen. Doch kein Blatt war groß genug, um die Dimensionen einer ganzen Tempelanlage festzuhalten.
Also griffen die Bildhauer direkt zum Stein. Mit Meißel und unerschütterlicher Vorstellungskraft begannen sie, ihre Ideen in den Fels zu fräsen. Man stelle sich vor, wie schwer es gewesen sein muss, komplexe dreidimensionale Modelle allein im Kopf zu entwerfen – ohne Skizzen, ohne digitale Hilfsmittel.
Heute kann jeder mit ein paar Klicks in einer Software ein 3D-Modell erschaffen. Damals jedoch brauchten die Künstler von Mahabalipuram eine fast übermenschliche geistige Kraft: die Fähigkeit, Visionen zu sehen, die noch nicht existierten – und sie im Stein für die Ewigkeit zu bewahren.

Five Rathas: Die spektakulärsten Monolithen sind zweifellos die Five Rathas. Jeder der fünf Tempel, kunstvoll aus einem einzigen Felsblock herausgearbeitet, zeigt einen anderen architektonischen Stil. Obwohl sie nach den Pandavas des Mahabharata benannt sind, finden sich im Inneren die Gottheiten Vishnu, Shiva, Durga, Indra und Surya.
Die Werkzeuge der Meister von Mahabalipuram
Nachdem die riesigen Felsbrocken in kleinere Stücke gebrochen waren und die Sthapatis ihre Entwürfe festgelegt hatten, begann die eigentliche Kunst: Mit Hammer und Meißel erweckten die Dhatchagas – die Bildhauer – den Stein zum Leben. Sie nutzten rund zwanzig verschiedene Meißel, jeder mit einem ganz bestimmten Zweck: grobe Schnitte, feine Linien, glatte Flächen oder filigrane Details.
Der pinkfarbene Granit von Mahabalipuram war wunderschön, aber gnadenlos hart. Die Werkzeuge verschlissen schnell und mussten täglich geschärft werden. Jeden Abend glühten die Feuer, in denen die Meißel neu gehärtet wurden – ein ritueller Akt, der die Bildhauer auf den nächsten Tag vorbereitete. Auch die Hämmer wechselten ständig: schwere Eisenhämmer für das grobe Herausbrechen, leichte für die letzte Verfeinerung.
Doch bei aller Technik: Die Arbeit war nicht nur Handwerk, sondern zutiefst religiös. Jeder Schlag auf den Stein war zugleich ein Akt der Hingabe – Teil einer spirituellen Tradition, in der das Praktische und das Heilige untrennbar miteinander verbunden waren.

Unvollendetes Relief: Ein teilweise vollendetes antikes Relief mit Steinfiguren hinduistischer Gottheiten schmückt die mächtigen Granitblöcke von Mahabalipuram. Es ist ein faszinierendes Zeugnis dafür, wie selbst unvollendete Werke eine starke spirituelle Präsenz ausstrahlen © ManeeshUpadhyay
Der harte Test der Skulpturen
Bevor eine Skulptur einer Gottheit in einen Tempel gestellt werden durfte, musste sie eine wahre Prüfung bestehen – ein Mandalam lang, ganze 48 Tage. Heute gilt dieser Prozess als religiöse Tradition, doch ursprünglich war er von nüchterner, praktischer Notwendigkeit geprägt. Denn Stein ist kein totes Material – er lebt: mit eingeschlossener Feuchtigkeit, winzigen Rissen oder unsichtbaren Schwächen, die das Werk unbrauchbar machen konnten.
Zuerst kam die Statue für 16 Tage ins Wasser – der Jalathi Vasam. Jeder verborgene Haarriss wurde hier entlarvt, wenn das Wasser eindrang und die Skulptur zerbrechen ließ. Bestand sie, folgte die zweite Prüfung: 16 Tage in einem trockenen Reisfeld, der Dhanyathivasam. Unter der sengenden Hitze entwich Feuchtigkeit aus selbst feinsten Rissen – und wieder drohte das Werk zu zerbrechen.
Nur, wenn die Statue auch diesen Test überstand, kam die letzte Etappe: 16 Tage unter wertvollem Metall, meist Gold. Dieser Schritt hatte keinen praktischen Zweck mehr – er war reines Ritual, ein heiliger Abschluss des Mandalams, der die Skulptur würdig machte, in einen Tempel einzuziehen.
So wurden aus einfachen Steinen Göttergestalten, geprüft, geweiht und für die Ewigkeit bestimmt.

Detail der Five Rathas: Eine Nahaufnahme zeigt die uralten monolithischen Felsschnitzereien aus dem 7. Jahrhundert – die berühmten Five Rathas. Menschliche wie tierische Figuren treten hier aus dem Granit hervor, inspiriert von den Geschichten der hinduistischen Schriften © Daniel J. Rao
Die letzte Weihe der Skulpturen
Am Ende ihrer Prüfungen wurde jede Skulptur für einige Tage in eine schlafende Position gelegt – ein stiller Übergang, bevor sie im Tempel aufgestellt wurde. Mit dem Ritual des Sayanatjhi Vasam erhielt sie schließlich ihre Weihe. Dieser aufwändige Prozess zeigt, mit welcher Ernsthaftigkeit und Weitsicht die Handwerker von Mahabalipuram arbeiteten – eine Sorgfalt, die selbst Jahrhunderte später beim Bau westlicher Wolkenkratzer oft vermisst wurde.
Doch die Skulpturen von Mahabalipuram sind nicht nur von religiöser Bedeutung – sie zeugen auch von erstaunlicher künstlerischer Innovation. Die Sthapatis der Pallavas waren die Ersten, die feine Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Figuren herausarbeiteten. Zuvor wirkten Statuen oft androgyn, doch hier begann eine neue Detailgenauigkeit: weibliche Hände zylindrisch, männliche flach; die Schultern des Mannes streng gerade, die der Frau sanft erhoben. Diese Raffinesse lebt bis heute in Mahabalipurams berühmtestem Relief weiter – Arjunas Buße.
Die Atmosphäre damals muss elektrisierend gewesen sein: Staub wirbelte in der Sonne, Funken flogen aus dem Stein, und überall hallte das rhythmische Hämmern von Meißeln. Heute ist Mahabalipuram ruhiger, doch die Hitze der Sonne, der Staub in der Luft und die spürbare Aufregung der Bildhauer – all das ist geblieben. Die Energie von damals lebt weiter.