Die Kumaritradition zeigt, wie in Nepal verschiedene religiöse Glaubenssätze miteinander verschmolzen wurden.
Es gibt nur sehr wenige Orte auf der Welt, die damit prahlen können, dass sie über eine lebende Göttin verfügen, die Anwohner und Reisende besuchen können. Wenn Sie nach Kathmandu an den Durbar Square kommen, schauen Sie sich auch den Kumari Bahal/Kumari Chowk an und weiden Sie Ihre Augen an einer echten, lebenden Göttin. Die Hindus huldigen Kumari, weil sie glauben, dass sie die Reinkarnation Parvatis, der Begleiterin Shivas, als junges Mädchen ist. Diese Tradition gibt es hier seit mehr als 200 Jahren.
Obwohl der Kult aus dem Mittelalter stammt, wurde er erst 1775 verbreitet, als der letzte Malla-König, Jaya Prakash, den Kumari Chowk erbaute, der noch bis heute in Benutzung ist. Die Legenden aus dieser Zeit erzählen von der unbändigen Leidenschaft Jaya Prakashs gegenüber Taleju. Sie jedoch fand seine Gefühle anstößig. Voller Verzweiflung versuchte Jaya Prakash inbrünstig, sich zu bessern. Schließlich vergab ihm die Göttin und reinkarnierte als Jungfrau der Newar. Der König initiierte den Brauch, dass die Kumari auf dem jährlichen Indra Jaatra Festival die Stirn des Regenten für das folgende Jahr mit einer Tika markiert.
Auch wenn der Brauch hinduistische Wurzeln hat, so kommt das Mädchen, das als lebende Verkörperung der Kumari erwählt, wird doch aus dem buddhistischen Shakya Clan, der aus Silber- und Goldschmieden besteht. Die Methode, nach der die Mädchen ausgewählt werden, ist dieselbe, nach der die Lamas in Tibet gefunden werden. Mädchen zwischen drei und fünf Jahren werden Fragen von geistlichen Ältesten gestellt. Bis 2008 mussten die Horoskope der Mädchen dem Horoskop des Königs exakt entsprechen. Diese Richtlinien wurden jedoch gelockert, da es keine Monarchie mehr gibt.
Auch ihre physische Erscheinung muss den traditionellen Richtlinien nach bestimmte Merkmale aufweisen. Diese sind: schwarze oder blaue Augen, das Haar in rechtsdrehenden Locken, Wimpern wie die einer Kuh, eine Stimme wie ein Spatz, Beine wie ein Reh und so weiter. Insgesamt muss das Mädchen, welches als nächste Göttin erwählt wird, 32 Kriterien erfüllen. Heutzutage ist dieser Auswahlprozess kaum mehr, als eine ärztliche Untersuchung, die sicherstellen soll, dass die Kinder gesund sind.
Neben Gesundheit, physischer Erscheinung und dem Horoskop, muss die potenzielle Kumari zeigen, dass sie mutig ist und angesichts furchteinflößender Dinge ruhig bleibt. Im dunklen Zentrum des Taleju Tempels werden dem Mädchen abgetrennte Ziegen- und Büffelköpfe gezeigt. Diese Symbole das alten Dasain-Opfers werden benutzt, um zu zeigen, dass die neue Kumari mit dem gelassenen Mut von Durga, einer besonders grimmige Göttin, gesegnet ist. Wenn das Mädchen diesen Test besteht, wird sie einem geheimen Ritual unterzogen, in dem der Geist von Taleju in die fahren soll.
Sobald die lebende Göttin im Tempel ist, führt sie wichtige religiöse Bräuche aus. Der Taleju-Hohepriester kommt jeden Tag, um die Göttin anzubeten. Auch können Mitglieder des Volkes ihr dabei folgen, während sie das Kumari Puja bei einem Publikum vollzieht. Dieses Ritual dient dazu, mehr Glück und finanziellen Wohlstand zu erhalten. Weitere Menschen, die ihr huldigen sind Regierungsmitglieder und Frauen, die Probleme mit Kindern, Fruchtbarkeit oder ihrer Menstruation haben. Die Art, wie die Kumari sich während eines Puja verhält, sagt die Zukunft Nepals voraus. Ruhelosigkeit oder Zappeligkeit kann ein Zeichen dafür sein, dass schlechte Dinge kommen.
Weitere Pflichten der Kumari sind das Erscheinen an einem Fenster für eine kurze Zeit, damit die Menschen sie sehen und anbeten können. Außerdem die Teilnahme an Festivitäten außerhalb der Tempelmauern und ein Umzug durch die Straßen in einem Wagen während des dreitägigen Kumari Jatra Festivals. Wann immer sie den Tempel verlässt, muss sie getragen werden, weil die Füße einer Göttin niemals den Boden berühren dürfen. Dieser Anlass gibt Menschen in anderen Teilen Kathmandus die Möglichkeit, die Göttin zu sehen und anzubeten. Die Kumari segnet sie von ihrem Beförderungsmittel aus, welches von starken Männern gezogen wird.
Die regulär ausgeschiedenen Kumaris kehren ehrenvoll in die Gesellschaft zurück, jedoch nicht ohne ein paar Schwierigkeiten. Ihr Bildungsniveau ist so, wie bei anderen Gleichaltrigen, doch manchmal gibt es Probleme sozialer Natur. Der Tempel versorgt die Mädchen mit einer Mitgift für eine zukünftige Heirat. Doch die Tradition besagt, dass es Unglück und einen frühen Tod bringt, eine ehemalige Göttin zu heiraten. Zum Glück für alle Männer, die eine ehemalige Kumari geheiratet haben, erwies sich diese Legende als falsch. Keiner starb jung oder hatte außergewöhnliches Pech.
Der Kumari-Kult geht über die Grenzen Kathmandus hinaus. In Bhaktapur und Patan gibt es weitere Kumaris, auch wenn jene in Kathmandu für bedeutender gehalten wird.
Wenn Sie mehr über das Leben einer Kumai lernen wollen, empfehlen wir das Buch „From Goddess to Mortal“ von Rashmila Shakya und Scott Berry, veröffentlicht 2005. Rashmila selbst war einst von 1984 bis 1991 eine Kumari.